Diskussionen über Kreativität, kritisches Denken, Kommunikation und Kollaboration werden im deutschsprachigen Raum häufig von Skepsis begleitet. Zu vage, nicht operationalisierbar, nicht abgrenzbar, willkürlich gesetzt. Die Einwände sind aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung nachvollziehbar. Allerdings richten sie sich gegen ein verkürztes Verständnis der 4K, das mit ihrem Ursprung wenig bis gar nichts zu tun hat.
Wir möchten darum als Institut für zeitgemäße Prüfungskultur einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte leisten. Dabei geht es uns um zwei Aspekte:
- Das Framework von Fadel, Bialik und Trilling
Die 4K können nur dann bildungspraktische Relevanz entwickeln, wenn sie in ein strukturiertes und mehrdimensionales Kompetenzmodell eingebettet sind. Dieses Modell liegt beispielsweise mit dem Framework von Fadel, Bialik und Trilling vor, das aber im deutschsprachigen Diskurs konsequent ignoriert.
Die 4K sind keine isolierten Skills, sondern Teil eines Kompetenzmodells. Das weit verbreitete Missverständnis besteht darin, die 4K als additive Fähigkeiten zu betrachten, die sich nebeneinander wegprüfen oder in einer Checkliste abhaken lassen. In dieser Form sind sie tatsächlich unbrauchbar. Im Framework von Fadel bilden die 4K jedoch nur eine von vier Dimensionen:
- Wissen: deklaratives, prozedurales, situatives und sensomotorisch verstanden
- Skills: darunter fallen die 4K als Prozesskompetenzen
- Charakter: Neugier, Resilienz, Verantwortung
- Meta-Lernen: Selbstregulation, Reflexion, Adaptivität
Es wird deutlich, dass die 4K hier keineswegs im Gegensatz zu Fachwissen stehen, sondern es benötigen, dass sie weiterhin auch keine Inhalte ersetzen, sondern die Art und Weise bestimmen, wie Lernende mit Lerninhalten umgehen. Wer sich ernsthaft mit den 4K auseinandersetzen möchte, muss darum die vier genannten Dimensionen ineinander verflochten denken.
Warum die Kritik an den 4K zu kurz greift
Wie Jöran Muuß-Merholz in seinen Ausführungen zu den 4K in der Pädagogik 12/2021 bereits zeigt, ging beim Transfer in den deutschen Diskurs viel ursprüngliche Substanz verloren:
- Critical thinking wurde der Problemlösekomponente entledigt,
- Creativity and innovation zu Ideenproduktion reduziert
- Communication und Collaboration auf Alltagsbegriffe verkürzt
Somit trifft die Kritik an der Unschärfe nicht das Framework, sondern die verkürzte Darstellung, die nicht zuletzt der Plattformlogik entspringt. Kritik an den 4K sollte sich mithin an einem theoretisch belastbaren Modell abarbeiten und nicht an populistischen Simplizifierungen.
Was Fadels Framework für unsere Überlegungen zur Prüfungskultur bedeutet
Eine Prüfungskultur, die den 4K gerecht wird, kommt ohne Edu-Hypes und im Zweifelsfall sogar ganz ohne digitale Endgeräte aus, wenngleich wir sie in der Kultur der Digitalität nicht wegdenken können und wollen. Für unsere Überlegungen zentral sind drei Faktoren:
- Situativität: Kompetenzen zeigen sich in komplexen, authentischen Anforderungssituationen, nicht in isolierten Items. (Beispiel: Kollaborative Problemlösung über längere Phasen, dialogische Interaktionen, kreative Transformationsaufgaben)
- Integration von Wissen und Können: Fachliche Tiefe und prozessbezogene Kompetenzen werden gemeinsam geprüft. Das entspricht der Struktur des Fadel-Frameworks: Skills werden durch und an Wissensinhalten entwickelt, nicht an ihnen vorbei.
- Meta-Lernen sichtbar machen: Gute Prüfungsformate benötigen Reflexions- und Dokumentationsanteile, in denen Lernende Lernstrategien, Entscheidungen und Begründungen offenlegen. Das ist die vierte Dimension des Frameworks und oft ein blinder Fleck bisheriger Prüfungen.
An dieser Stelle setzt auch das von der BR Detmold unterstützte Modellvorhaben LUPE2 an, das sich als Entwicklungs- und Reflexionsraum für die Verknüpfung von Lern- und Prüfungskultur und konkreten schulfachlichen Bedingungen versteht. In diesem Modellprojekt werden die 4K domänenspezifisch konkretisiert und als Reflexionsinstrument genutzt. In Pilotprojekten verschiedener Schulformen und Fächer geht es darum, fachliches Wissen, Prozesskompetenzen und Metareflexion miteinander zu verschränken.
Am 10. Dezember 2025 sind die Entwurfsfassungen für die neuen Kernlehrpläne Sek II des Landes NRW veröffentlicht worden. Sie zeigen, dass eine pauschale Kritik an den 4K an der schulischen Praxis vorbeizielt, wenn diese kompetenztheoretisch reflektiert arbeitet. Kreativität, kritisches Denken, Kommunikation und Kollaboration erscheinen im Lehrplan nicht als isolierte „Skills“, sondern werden konsequent eingebettet in fachliches Wissen, reflexive Lernprozesse, ethische Verantwortung und demokratische Orientierung. Damit fügen sich die Lehrpläne implizit in das Framework von Fadel ein: Wissen, prozessuale Kompetenzen, Haltung und Meta-Lernen werden miteinander verschränkt und an konkrete Anforderungssituationen gebunden. Zugleich werden in allen Lehrplan-Entwürfen zentrale Prinzipien einer zeitgemäßen Prüfungskultur sichtbar, etwa die explizite Unterscheidung von individual- vs. kooperativer Leistung, hilfsmittelfrei vs. werkzeugunterstützt, monologisch vs. dialogisch, Prozess vs. Produkt sowie der reflektierte Umgang mit KI als Werkzeug und Gegenstand der Bewertung.
Der zweite Aspekt, der uns wichtig ist:
Normativität ist kein Makel, sondern die Voraussetzung von Bildungshandeln in Schulen
Schule kann nicht nicht-normativ handeln. Jede curriculare Setzung, jede Form des Prüfens, jede Kompetenzbeschreibung ist Ausdruck einer normativen Entscheidung darüber, was einer Gesellchaft als bildungswürdig gilt. Empirische Bildungsforschung kann helfen, Wirkzusammenhänge zu klären. Ihre Aufgabe ist es aber nicht in erster Linie, die Bildungsziele zu hinterfragen, die eine demokratische Gesellschaft ihren Schulen aufträgt. Überall dort, wo suggeriert wird, Bildungsziele ließen sich ausschließlich aus ihrer Operationalisierbarkeit, Messbarkeit oder Arbeitsmarktrelevanz ableiten, ist Vorsicht geboten: Die entscheidende Frage ist aus unserer Perspektive darum in erster Linie nicht, ob Kreativität, kritisches Denken, Kommunikation und Kollaboration perfekt operationalisierbar sind, sondern, welche Rolle sie in einer demokratischen und auf Mündigkeit zielenden Bildung spielen sollen.
In dieser normativen Perspektive erhalten die 4K noch einmal eine andere Legitimation. Nicht als ökonomische Verwertbarkeitskategorien, sondern als praktische Voraussetzungen demokratischer Urteils- und Handlungsfähigkeit.
Kritisches Denken befähigt dazu, Argumente zu prüfen und gesellschaftliche Machtverhältnisse zu reflektieren, Kommunikation stellt die Grundlage öffentlicher Verständigung dar, Kollaboration befähigt zur gemeinsamen Entscheidungsfindung, und Kreativität befähigt auch dazu, (transformativ) Alternativen zu bestehenden Ordnungen zu denken. Im Zusammenspiel mit Fachwissen, Charakterbildung und Meta-Lernen lassen sich diese Kompetenzen gesellschaftlich legitimieren.
Anstatt also die 4K pauschal abzulehnen oder sie als unscharfe Projektionsfläche für Strohmann-Argumente zu nutzen, wünschen wir uns als Institut, dass andere Fragen stärker in den Mittelpunkt rücken: Wie ist das Framework der Future Skills fachlich einbindbar? Welche Lern- und Prüfungskultur macht die 4K sichtbar? Welche Rolle spielt Digitalität (einschließlich KI) in diesen Prozessen? Und welche Alternativen gäbe es zu Fadels Framework, die ebenfalls den Fokus auf den schulischen Umgang mit gesellschaftlichem und technologischem Wandel legen, Demokratiebildung und Mündigkeit als normative Leitplanken schulischer Bildung betrachten und die Fähigkeit zum Diskurs als zentrale Voraussetzung für Urteilsbildung, Widerspruch und Verständigung betrachten?
